Maxime Livio: Jedes Pferd ist ein Rätsel, das es zu lösen gilt
Entdecken Sie unsere Reiter-Botschafter durch ihre Geschichten. Heute stellen wir Ihnen Maxime Livio.
„Man sollte nie vergessen, warum man Reiter geworden ist“
Schon früh machte sich Maxime Livios Leidenschaft bemerkbar und brachte ihn im Auto gar zum Weinen, wenn seine Eltern einfach weiterfuhren, statt bei den Pferden am Straßenrand anzuhalten. Heute ist er 34 Jahre alt und hat dieser magischen Anziehungskraft, die er schon damals zu den Vierbeinern verspürte, sein Leben gewidmet.
„Man sollte nie vergessen, warum man Reiter geworden ist. In meinem Fall fand ich Pferde anfangs in erster Linie schön, faszinierend und freundlich. Auch wenn es paradoxerweise sehr Respekt einflößende Tiere sind, kann man eine sehr intime Beziehung zu den Pferden haben.“
Maxime gefällt die Idee, jedes neue Pferd als ein unbeschriebenes Blatt Papier zu sehen. „Ich liebe es, die Besonderheiten eines Pferdes zu entdecken, seine Persönlichkeit und Vorlieben kennenzulernen. Mit jeder neuen Partnerschaft beginnt auch ein neuer Weg. Man kann ein bestimmtes Pferd nicht genauso reiten wie ein anderes, das funktioniert einfach nicht. Man muss sich immer wieder Schritt für Schritt vorantasten und kann dabei keinerlei Abkürzungen nehmen.“
Maxime, der bei den Weltreiterspielen 2018 mit Opium de Verrières die Bronzemedaille in der Mannschaftswertung gewann und bei den Europameisterschaften 2021 mit Api du Libaire sechster und damit bester französischer Reiter wurde, hat sich für den Vielseitigkeitssport entschieden, weil er eine intensive Beziehung mit seinen Pferden eingehen möchte: „Ich reite auch Springturniere, die sind technisch sehr interessant für mich. Aber das Vielseitigkeitstraining gestaltet sich weitaus abwechslungsreicher: Einem Pferd eine Dressurübung beizubringen, es von Grund auf aufzubauen und es dann versammelt über den Hindernisparcours reiten zu können, das ist Wahnsinn! Man muss bei der Arbeit die optimale Balance finden, um aus jedem Pferd das Beste herausholen zu können.“
„Es geht mir nicht darum, besser als die anderen zu sein. Ich will einfach nur mein Bestes geben.“
Wenn er sich auf ein Turnier vorbereitet, setzt sich Maxime Livio präzise Ziele, die er auf seine vierbeinigen Partner abstimmt.
„Natürlich will man es immer so gut wie möglich machen, aber das ist zu vage. Wenn man sich hingegen zum Ziel gesetzt hat, in der Dressur eine bestimmte Punktzahl und im Gelände eine bestimmte Zeit zu erreichen, dann kann man die Dinge im Falle eines Misserfolgs besser analysieren. Bei den letzten Europameisterschaften bin ich mit Api in der Dressur besser abgeschnitten als erwartet. Dafür habe ich im Springen am Ende des Parcours vier Punkte kassiert – und diese kleine Stange steckt mir immer noch im Hals! Es ist mir nicht gelungen, ausreichend auf mein Pferd einzugehen, und ich betrachte diesen sechsten Platz als meine schlimmste Niederlage mit der französischen Mannschaft.“ Ohne diesen Fehler hätte sich Maxime den zweiten Platz holen können, umringt von den Britinnen Nicola Wilson und Piggy March … Sobald der Reiter aus Dénezé-sous-Doué, nahe der staatlichen Reitschule Saumur in Frankreich, seinen Parcours oder sein Turnier beendet hat, analysiert er seine Leistung und setzt sich eingehend damit auseinander.
„Es geht mir nicht darum, besser als die anderen zu sein. Ich will gemeinsam mit meinem Pferd einfach nur mein Bestes geben. Mein fünfter Platz in der Vier-Sterne-Prüfung in Pau mit Vitorio du Montet im Jahr 2021 ist für mich zum Beispiel ein Sieg. Mit Qalao des Mers hätte ich vielleicht gewonnen, aber er hatte mehr Stil.“
„Ich habe gelernt, nur auf meine engsten Vertrauten zu hören.“
In seiner Karriere musste Maxime Livio bereits einige große Rückschläge erleiden. Im Jahr 2009 stürzte er im Alter von nur 22 Jahren beim Grand National in Jardy und brach sich dabei den Oberschenkel, das Becken, vier Rippen, das Brustbein sowie das Schlüsselbein. „Ich hatte gerade meine erste Nominierung für die Europameisterschaft der Senioren erhalten, das war sehr schwer zu verkraften.“
Eine weitere Zerreißprobe kam im Jahr 2014, als Qalao des Mers bei den Weltreiterspielen in Caen positiv getestet wurde. Maxime Livio plädierte auf seine Unschuld, wurde aber dennoch von seinem fünften Platz in der Einzelwertung disqualifiziert und verlor mit der französischen Mannschaft die Olympiaqualifikation. „Die schwierigsten Situationen sind solche, wie nach meinem Sturz mit Vitorio in Badminton Anfang Mai, wenn die Art und Weise, wie ich mit meinen Pferden lebe und wie ich mich um sie kümmere, infrage gestellt wird. Denn sie sind die eigentlichen Stars und unser ganzes Leben dreht sich um sie.“
Wie aber kann man derartige Schicksalsschläge verkraften und wieder nach vorne sehen? Maxime hat sich dafür entschieden, den Kreis seiner engsten Vertrauten zu verkleinern und einige Beziehungen zu überdenken. „Die Menschen, die mich umgeben und die wirklich wichtig für mich sind, sind meine Lebensgefährtin Mathilde Montginoux, meine Eltern und meine Freunde. Ihnen höre ich zu und mit ihnen analysiere ich meine Fehler. Was die anderen denken, ist mir mittlerweile egal. Vor Caen wollte ich zeigen, wer ich bin, meine Tür stand weit offen. Später wurde mir klar, dass mich das nicht unbedingt weiterbringt und es besser ist, mein System zu schützen, als es zu offenbaren. Es ist für mich absolut grundlegend, dass ich niemals von meinen Prinzipien und meiner selbst gesetzten Linie abweiche.“ Kurz gesagt: ein Handeln nach bestem Wissen und Gewissen.
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Wir freuen uns, dass Ilona zu unseren Botschaftern zählt und wir sie bei diesen Projekten begleiten werden. Wir danken ihr, dass sie ihre Erfahrungen mit uns geteilt hat.
Interview von Céline Gualde
Bildnachweis: Solène Bailly, Morgan Froment